Der
Sachsenspiegel des Eike von Repgow ist das älteste Prosawerk deutscher
Sprache und das bedeutendste deutsche Rechtsbuch, sodass sich ein
Vergleich mit dem Grundgesetz aufdrängt. Im 3. Viertel des 14.
Jahrhunderts verschriftlicht er bisher nur mündlich tradierte
Rechtssätze, um mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Dieses Ziel haben
auch die 776 gotischen Illustrationen im Wolfenbütteler Sachsenspiegel,
die als Interpretations- und Anschauungshilfe dem besseren Verständnis
des Textes dienen. Heute stellen sie eine wichtige Quelle für die
Realienkunde des mittelalterlichen Lebens dar, da sie Darstellungen
unterschiedlichster Personengruppen, der Architektur, von
Haushaltsgeräten und Schmuck bieten. Obwohl der Wolfenbütteler
Sachsenspiegel das prächtigste und wertvollste aller illustrierten
Codices des Sachsenspiegels ist, war er von Beginn an zum Gebrauch
bestimmt: Darauf deuten die Indices gleich zu Beginn ebenso hin wie auch
seine reichen Gebrauchsspuren.
Das bedeutendste Rechtsbuch des deutschen Mittelalters
Der
Wolfenbütteler Sachsenspiegel aus dem 3. Viertel des 14. Jh.s ist die
jüngste von insgesamt vier durchgehend illuminierten Handschriften, die
sich vom wichtigsten deutschen Rechtsbuch des Mittelalters erhalten
haben.
Mit der treuen Textrezeption und der farbenprächtigen Ausstattung ist
die Wolfenbütteler Handschrift das wertvollste Exemplar der
illustrierten Codices des Sachsenspiegels.
„Spegel der Sassen“
Kein anderes Buch hat die deutsche Rechtsgeschichte so geprägt wie der
Sachsenspiegel. Nach Jahrhunderten ausschließlicher mündlicher
Tradie-rung stellt er die erste schriftliche Aufzeichnung des im Alltag
und vor Gericht erprobten Gewohnheitsrechts eines bestimmten
Anwendungsgebietes (in diesem Fall Sachsens) dar.
Eike von Repgow legte sein Werk in der Sprache seiner niederdeutschen
Heimat vor und schuf damit nicht nur das bedeutendste und in seiner
nachhaltigen Wirkung unerreicht gebliebene deutsche Rechtsbuch, sondern
auch das erste Prosawerk in deutscher Sprache.
Den Titel „Spiegel“ wählte der Autor in Anlehnung an die
mittelalterliche Speculum-Literatur. Wie in einem Spiegel war in diesen
Lehrbüchern die christliche Weltordnung zu erkennen – in gleicher Weise
sollten die Sachsen in Eikes „Spegel“ Recht und Unrecht erkennen können.
Der Inhalt des Sachsenspiegels
Am Anfang des Werkes steht ein Prolog, in dem der Autor den göttlichen
Ursprung des Rechts beschwört und alle Menschen auffordert, sich durch
nichts vom Recht abbringen zu lassen.
In dem darauf folgenden Landrecht sind alle Fragen des Dorf- und
Nachbarrechts, des Familien- und Erbrechts, des Verfassungsrechts, des
Straf- und Gerichtsverfassungsrechts sowie des Verfahrensrechts
geregelt.
Der zweite Hauptteil faßt die Normen des Lehnrechts zusammen, welches
das Verhältnis zwischen den Lehnsherren und ihren Vasallen zum Inhalt
hat. Damit gibt der Sachsenspiegel verbindliche Richtlinien für alle im
Zusammenleben der Menschen in den unterschiedlichen sozialen Gruppen
relevanten Rechtsfragen vor.
Ein buntes Panorama des mittelalterlichen Lebens
In 776 Bildstreifen auf 86 Blättern entfaltet der Wolfenbütteler
Sachsenspiegel ein farbenprächtiges Panorama des Rechtslebens im 14. Jh.
Der Bildschmuck ist weit mehr als reine Illustration – als
Interpretations- und Anschauungshilfe dient er vor allem dem besseren
Verständnis des Textes.
Von besonderer kulturhistorischer Bedeutung sind die in den Bildstreifen
enthaltenen zusätzlichen Informationen: Die Darstellungen
unterschiedlichster Personengruppen, von Innen- und Außenarchitekturen,
Waffen, Acker- und Haushaltsgeräten, Nahrungsmitteln und Schmuck bieten
eine reiche Quelle des zeitgenössischen Alltagslebens.
Ein Rechtscodex als Prachthandschrift?
Die durchgehende farbenprächtige Illuminierung, das auf jeder Seite
reich verwendete Gold, qualitätvolle Initialen und Versalien und die
sorgfältig aus-geführte gotische Textura machen den Wolfenbütteler
Sachsenspiegel zu einer Prachthandschrift. Und doch war er in erster
Linie für den Gebrauch bestimmt. Hinweise dafür sind etwa die Indices am
Anfang der Handschrift sowie die nicht immer einwandfreie Qualität des
verwendeten Pergaments, das z. T. Löcher, Risse und andere
Unregelmäßigkeiten aufweist. Hinzu kommen zahlreiche Spuren eingehender
Benutzung. Wir dürfen wohl davon aus-gehen, daß der Wolfenbütteler
Sachsenspiegel für eine hochgestellte Persönlichkeit zwar als
Repräsentationshandschrift hergestellt, von dieser aber auch seiner
Bestimmung entsprechend gebraucht wurde.