Die
goldene Bilderbibel, auch bekannt als „Biblia Pauperum“, ist ein
ungewöhnlicher Codex im Querformat, der die Geschichten des Neuen
Testaments in Bildern dokumentiert. Die prächtigen, reich mit Gold und
Silber verzierten Miniaturen machen jede einzelne Seite des Codex zu
einem kleinen Kunstwerk.
Goldene Bilderbibel „Biblia Pauperum“
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts entstand ein Codex in ungewöhnlicher Form, der die Geschichten der Heiligen Schrift in Bildern kommentierte. Der Bildband zeigt kostbar vergoldete szenische Darstellungen aus dem Neuen Testament, welche von erklärenden Abbildungen aus dem Alten Testament begleitet sind. Das Werk enthält 93 mit Gold und Silber geschmückte Miniaturen, auf jeder Seite befinden sich davon drei Stück. Das mittlere Bild zeigt immer ein neutestamentliches Ereignis, das von Zeichnungen von Prophetenbüsten umrahmt ist. Rechts und links dieser Szenen befinden sich jeweils alttestamentliche Darstellungen,
die als Vorboten für das gezeigte neutestamentliche Ereignis gelten.
Ein Beispiel hierfür ist die auf der vierten Seite des Bandes
dargestellte Flucht Marias und Josefs mit dem kindlichen Jesus. Links
dieser Szene befindet sich ein Bild, das die Flucht Jakobs zu seinem
Onkel Laban zeigt und rechts davon ein Bild, das den Heiligen Michol
zeigt, wie er David auf der Flucht vor Saul Hilfe leistet. So wurde ein erläuternder Zusammenhang zwischen den biblischen Geschichten des Neuen und Alten Testaments hergestellt.
Der Meister blieb unbekannt
Die Goldene Bilderbibel wurde sehr wahrscheinlich von einem Künstler erschaffen, der in den Anfangsjahren
des 15. Jahrhunderts am Hof des Grafen Albrecht von Bayern-Holland und
dessen zweiter Ehefrau Margaretha von Kleve in Den Haag tätig war. Es handelt sich wohl um den selben Maler, der auch für Margatethas Stundenbuch verantwortlich war, die frappierende Ähnlichkeit der Illustrationen beider Werke kann kein Zufall sein.
Der Buchmaler wollte mit seinem Werk ein ganz bestimmtes Ziel erreichen. Ketzern und Häretikern, wie Beispielsweise die Katharer, die am Ende des Mittelalters immer mehr Anhänger fanden, sollte mit solchen biblischen Prachthandschriften entgegengetreten werden. Ihr gefährliches Gedankengut, das das vorherrschende christliche Weltbild in Frage stellte, sollte auf künstlerisch ansprechende Art widerlegt werden.
Eine bewegte Geschichte
Nachdem die Bilderbibel fertiggestellt worden war, verschwand sie für beinahe drei Jahrhunderte und ihr Aufenthalt in dieser Zeit kann bis heute nicht vollständig geklärt werden. Es befindet sich jedoch ein Namenseintrag aus dem 16. Jahrhundert im Buch, nämlich alexander Ratclyff boke. Bei diesem Herren handelt es sich nachweisbar um einen englischen Adligen aus Lancastershire. Ein Nachkomme dieser Familie verschenkte das Werk im 18. Jahrhundert an den englischenKönig Georg III.
In dieser Zeit wurde die Bibel mit einem roten Einband aus Maroquin und
einer Goldprägung versehen. 1823 wurde die gesamte Bibliothek Georges
III. von dessen Sohn an den Staat übergeben. Heute befindet der Band sich in der British Library in London.
Durchaus keine Armenbibel
Den
Namenszusatz „Biblia Pauperum“ hat der Codex wohl nur durch einen
unpassenden Zufall erhalten. Da die ärmere Bevölkerung auch am Ende des
Mittelalters noch überwiegend analphabetisch war, wurden zur Verbreitung
von Bibeltexten stets Bildbände benutzt. Die Goldene Bilderbibel kann
aber aufgrund ihres üppigen Goldschmucks kaum ein Werk für untere Bevölkerungsschichten gewesen sein. Die prachtvollen, farbintensiven und reich mit Gold und Silber verzierten Miniaturen beweisen das Talent ihres Meisters und deuten auf einen fürstlichen Auftraggeber hin. Das große Format der Bibelszenen ist besonders reizvoll,
so wählte der Maler eine Breite von 18 cm und eine Höhe von fast 40 cm
für seine Bilderbibel. Dieses Format ist wahrhaft außergewöhnlich. Die
langen, querformatigen Seiten bieten auch für ihre heutigen Betrachter
einen besonderen Spaß am Lesen und Entdecken.