Codex der Trachten und Kostüme
2010 hat das spanische Kulturministerium eine spannende und wichtige Anschaffung getätigt: den Códice de Trajes oder "Codex der Trachten und Kostüme". Er ist ein wunderbar illuminierter Zeuge der Herrschaft über das Heilige Römische Reich unter Kaiser Karl V. (1500–58), der als Erster ein Reich regierte, über dem "die Sonne nie unterging". Er besteht aus 125
Aquarellen, die den Kleidungsstil in verschiedenen Regionen der Welt
zeigen, sowohl in als auch am Rande des riesigen Habsburger Reiches in
Europa oder des Spanischen Reiches in Afrika und der Neuen Welt,
die unter Karl V. alle vereint waren. Er kam damit dem
mittelalterlichen Konzept einer die gesamte Christenheit vereinigenden
Universalherrschaft, der so genannten res publica Christiana, näher als jeder andere seit Kaiser Karl dem Großen. Die mit Bildunterschriften in deutscher Sprache
versehene Prachthandschrift von etwa 1546–47 ist als Nachschlagewerk
über die Sitten und Gebräuche dieser Zeit von unschätzbarem Wert.
Anstelle von Pergament wurde in der Handschrift Papier verwendet, das
dem Wasserzeichen zufolge 1546 in Augsburg gefertigt wurde.
Eine unersetzliche Quelle der Mode des 16. Jahrhunderts
Die
125 Miniaturen dieser Handschrift sind gleichsam eine Parade von
Portugiesen, Berbern, Südamerikanern, Franzosen, Engländern, Türken,
Tataren, Iren, Kroaten und Ungarn und enthalten auch detailliertere
Darstellungen der Völker Deutschlands, Spaniens und der Niederlande.
Obwohl nicht bekannt ist, wer die Handschrift schuf, ist der Einfluss verschiedener Meister der Renaissance nördlich der Alpen in diesem Werk zu erkennen, wie der von Albrecht Dürer (1471–1528), insbesondere in Bezug auf die Tracht in Nürnberg, in Livland oder unter den Türken, sowie von Albrecht Altdorfer (ca. 1480–1538) und von Hans Burgkmair dem Älteren (1473–1531). Darüber hinaus gibt es Belege für den Einfluss aus der anonymen Werkstatt auf zeitgenössische Meister wie Lucas Cranach d. Ä. (1472-1553), insbesondere in der Miniatur, die den Kaiser und die sieben Kurfürsten zeigt, oder Lucas de Heere
(1534–1584), dessen Darstellung eines reitenden Lanzenreiters von ca.
1570 der ersten Seite des KostümCodexes nachgebildet ist. Es könnten
allerdings auch beides Kopien nach demselben Modell sein. Auch Georg Hoefnagel (1542–1601) schuf für seine berühmten Civitates Orbis Terrarum
Reiter, die denen in dieser Handschrift sehr ähnlich sehen. Zahlreiche
andere Künstler wurden von diesem Werk beeinflusst, darunter Jost Amman
(1539–91) und Cesare Vecellio (ca. 1521 – ca. 1601).
Der Reisebericht eines Künstlers?
Das vorliegende Manuskript entstand in der zweiten Hälfte der Regierungszeit Kaiser Karls V. während einer Zeit, in der sich die Mode, wie wir sie kennen, gerade entwickelte.
Zuvor war die Kleidung lediglich Ausdruck des eigenen Standes gewesen,
aber das zunehmend zur Verfügung stehende Geld führte im
spätmittelalterlichen Europa zu einer dramatischen Revolution in der
Mode, die die gesellschaftliche Ordnung so sehr beunruhigte, dass sie
sogar zu weitreichenden Gesetzen führte. Im 13. Jahrhundert zum ersten
Mal in Erscheinung getreten, sollten Luxusgesetze als moralisierender Einfluss wirken mit der Absicht, die Menschen auf ihre soziale Klasse zu beschränken und gleichzeitig öffentliche Zurschaustellungen
und die ruinösen Ausgaben zu begrenzen, die den Mitgliedern der
wohlhabenden Klassen entstanden, da sie enorm den neuesten Moden
nachgingen. Praktisch gesehen beschränkten sie luxuriöse Stoffe zwar auf
den Adel, waren aber letztlich dennoch wirkungslos. Obwohl sie
wahrscheinlich in den Reichsstädten Augsburg und Nürnberg entstanden
sind, könnten die Miniaturen sehr wohl auch auf Skizzen beruhen, die ein Künstler während der Begleitung des Kaisers auf seinen Reisen durch Spanien, Flandern und Deutschland
anfertigte. Die Miniaturen stammen wohl aus der Zeit zwischen 1513 und
1515 und wurden später, 1526, in weit verbreitete Holzschnitte
umgewandelt.