Das Goldene Graduale der Gisela von Kerssenbrock
ist ein mittelalterliches Gesangbuch für den gregorianischen Chor des
Zisterzienserinnenordens in Marienbrunn bei Osnabrück. Es wurde um 1300
von der Chorleiterin Gisela von Kerssenbrock geschaffen und rund 500
Jahre lang im Nonnenkloster Marienbrunn verwendet. Berühmt ist das Werk
für seine 53 prächtigen historisierten Initialen, 15 blaue und goldene
Initialen, die von flammenden roten Ranken umschlungen sind, sowie 200
kleine, goldene Initialen mit blauem und rotem Hintergrund. Im Gegensatz
zu den meisten Gradualien, die etwa 650 Hymnen enthalten, umfasst der Codex Gisle
fast 1.500 Hymnen in gekürzter oder vollständiger Form. Damit ist die
Handschrift nicht nur einer der umfangreichsten mittelalterlichen
Musikmanuskripte, sondern auch gründlicher und aufwändiger verziert als
jedes andere Werk seiner Art.
Der Codex Gisle
Ein Graduale ist eine Sammlung aller lateinischer Kirchengesänge, die die täglichen Messen in Klosterorden begleiteten und vom gregorianischen Chor vorgetragen
wurden. Im Konvent Marienbrunn in Rulle bei Osnabrück wurde ein solches
Graduale von wahrhaft ungewöhnlicher Qualität entdeckt. Der Codex Gisle
wurde etwa um 1300 von seiner Namensgeberin Gisela von Kessenbrock verfasst. Sie schrieb die Notation zu den lateinischen Gesängen nieder und illustrierte die Seiten ihres Werkes meisterhaft mit großen Bild-Initialen auf poliertem Goldgrund.
Es befinden sich insgesamt 53, teils ganzseitige ausgestaltete
Initialen im Codex. Hinzu kommen 15 blau-goldene Initialen umschlungen
von flammend roten Pflanzenranken, sowie 200 kleine, blau hinterlegte
Goldinitialen.
Das Wort Gottes im täglichen Kirchengesang
Die gregorianischen Chorgesänge waren das wohl wichtigste und unverzichtbarste Element der Gottesdienste
in mittelalterlichen Klöstern. Sie begleiteten die wichtigen
liturgischen Handlungen wie den Einzug in die Kirche, die Bereitung des
Abendmahls und die Kommunion. Üblicherweise beinhaltete ein Graduale aus
dem 13. Jahrhundert in etwa 650 Gesänge. Der Codex Gisle hat einen
weitaus größeren Umfang. Beinahe 1500 Gesänge wurden hier in verkürzter oder vollständiger Form festgehalten.
Gisle- eine Größe des Ordens
Mehrere
Darstellungen von Nonnen in Ordenstracht sind im Codex verzeichnet.
Eine der dargestellten Nonnen ist explizit als Gisle benannt. Dabei
handelt es sich nachweisbar um die adlige Ostwestfälin Gisela von Kerssenbrock. Sie war die Leiterin des Chors
im Zisterzienserorden Marienbrunn. Sie organisierte den Chor und die
Solistinnen, wählte mehrmals täglich Stücke für Messen aus, unterwies
ihre Mitschwestern im Gesang, überwachte Bibliothek und Schreibstube des
Klosters und war verantwortlich für die Herstellung der
Musikhandschriften. Sie hatte eines der höchsten Ämter im Konvent inne und widmete sich dieser Aufgabe hingebungsvoll. Der Codex Gisle ist ihr prächtigstes und aufwendigstes Kunstwerk.
Ein ausgefallener Bilderschatz
Wie
in den Gradualen des Mittelalters üblich, beschränkt sich der
Bilderschmuck auch im Codex Gisle auf die Initialen. Diese sind
allerdings so effektvoll ausgestattet, wie in keinem anderen Werk dieser Art. Die Initialen hier wurden zu teils ganzseitigen Miniaturen ausgearbeitet, die in leuchtend blauen und roten Farbtönen gehalten sind und sich elegant vom schimmernden Goldgrund
abheben. Die Meisterin Gisela drückt ihren tief empfundenen Glauben mit
sensiblen, unbefangenen Bildern von Bibelszenen aus. An der Buchstabengröße und dem Reichtum der Ausstattung kann man die Bedeutung des jeweiligen Gesanges erkennen.
Bedeutende Geschichte
Der Codex Gisle ist das künstlerische Aushängeschild des Klosters
Marienbrunn bei Osnabrück. Hierbei handelt es sich um das erste der 25
westfälischen Frauenklöster des Zisterzienserordens, in dem das Graduale
500 Jahre lang in Gebrauch war. Während der Zeit der Säkularisation ging das Werk in den Besitz des Osnabrücker Weihbischofs Karl Klemens über, und heute wird es aufbewahrt im Bistumsarchiv Osnabrück.