Ob
handfeste Szenen aus dem landwirtschaftlichen Leben wie das Ausbluten
eines Ebers auf den Kalenderseiten oder das mitfühlende Gesicht Mariens
bei der Beschneidung des kleinen Jesus in der Darstellung biblischer
Erzählungen: Schon nach wenigen der insgesamt 121 Miniaturen dieses
Frühwerks Simon Benings (ca. 1483–1561) besteht kein Zweifel mehr daran,
dass Bening der „beste Buchmaler Europas“ ist, wie schon ein
Zeitgenosse über ihn urteilte. Mit Bening erreichte die
Gent-Brügger-Malschule ihren größten Höhepunkt und – nach Erfindung des
Buchdrucks – ihre letzte Blüte. Dieses außergewöhnliche Frühwerk
Benings, dem ingesamt ein langes, schaffensreiches Leben beschieden war,
war nicht ohne Grund im Laufe der Geschichte im Besitz von Päpsten,
Königen und Industriemagnaten – davon ganze vier Jahrhunderte lang im
Besitz der namensgebenden Familie Da Costa in Portugal.
121 strahlende Miniaturen von Simon Bening
Die
Buchmalerei erlebte einen ihrer größten Höhepunkte und zugleich ihre
letzte Blüte in der phantastischen Buchmalerkunst der Gent-Brügger
Malerschule – große Künstler wie Gerard Horenbout oder Gerard David
schufen unvergessliche Meisterwerke. Unzweifelhaft der größte Meister
allerdings ist Simon Bening, dessen Werke zugleich den Höhepunkt und
Abschluss der großen niederländischen Buchmalertradition bilden.
Das Da Costa- Stundenbuch ist das wohl größte Frühwerk dieses
Ausnahmekünstlers. Während manche seiner insgesamt 121 strahlenden
Miniaturen eine kritische Auseinandersetzung mit jenen Errungenschaften
bieten, die die Buchmalerei in den Jahrhunderten zuvor hervorgebracht
hat, geben andere bereits einen Ausblick auf die großen letzten
Zeugnisse der glorreichen Tradition der niederländischen Buchmalerei.
Simon Bening – ein „Star“ seiner Zeit
Die Buchmalerei lag ihm wohl schon im Blut – denn bereits sein Vater
Alexander war ein bekannter Buchmaler, den manche Forscher mit dem
Meister des Ersten Gebetbuchs Kaiser Maximilians identifizieren, sein
Onkel war der große Maler Hugo van der Goes. Simon Bening wurde um 1483
in Brügge oder Antwerpen geboren; er wurde 1508 in die Buchmalergilde
von Brügge aufgenommen – eine im ausgehenden Mittelalter unabdingbare
Voraussetzung, um als Künstler tätig werden zu können. Dennoch ließ er
sich in Brügge nicht vor 1519 nieder, vermutlich lebte und arbeitete er
bei seinem Vater Alexander Bening, der 1519 starb.
Schon in dieser Zeit, als Simon von seinem Vater ausgebildet wurde,
lernte er die Arbeiten anderer Buchmaler wie Gerard Horenbout kennen,
mit denen er später noch großartige Handschriften ausmalen sollte.
Spätestens um 1525 ist Simon Bening der unumstrittene „Star“ der
Buchmalerszene in ganz Europa –wie übrigens sein Zeitgenosse Tizian in
der Tafelmalerei. Doch bereits um 1510 ist das Ansehen Simon Benings
europaweit groß. Zu seinen Kunden zählte auch niemand Geringerer als
Kardinal Albrecht von Brandenburg, einer der bedeutendsten Kunstförderer
des 16. Jahrhunderts, der die größten Künstler seiner Zeit wie
Albrecht Dürer und Lukas Cranach den Älteren beschäftigte. 1530 nannte
der portugiesische Diplomat und Humanist Damião de Góis Bening „den
besten Meister der Buchillumination in ganz Europa“ – und das zu Recht.
Zu seinen Meisterwerken zählen neben dem Da Costa- Stundenbuch auch das
Stundenbuch für Kardinal Albrecht von Brandenburg (Privatbesitz), die
Genealogischen Tafeln der Königshäuser von Spanien und Portugal (London,
British Library, Add. 12531), das Hennessy- Stundenbuch (Brüssel,
Königliche Bibliothek, Ms. II. 158) oder die Statuten des Ordens vom
Goldenen Vlies (Madrid, Instituto de Don Juan de Valencia). Wie
Michelangelo und Tizian wurde Simon Bening sehr alt. Im Jahr 1555
bezahlte er seine letzten Beiträge an die Brügger Buchmalergilde im
Alter von 71 oder 72 Jahren. Als er 1561 starb, erlosch auch die
großartige Tradition der Gent-Brügger Malschule für immer.
Einzigartige Kunstfertigkeit und phantastische Kreationen
Für die Ausstattung des Da Costa-Stundenbuchs war das intensive Wissen
Simon Benings um die Bildsprache enorm wichtig – vor allem deshalb, weil
die unglaubliche Anzahl an Miniaturen eine große Zahl kompositorischer
Modelle verlangte. So benötigte der Codex etwa zwei Zyklen von Bildern
zur Passion Christi: die ersten acht für das Passions-Offizium, weitere
vier für die Schilderung der Leidensgeschichte bei den vier
Evangelisten. Ebenso mussten die vier Evangelisten zweimal erscheinen,
einmal als Autoren der von ihnen verfassten biblischen Berichte und ein
weiteres Mal zusammen mit ihren Symbolen.
Um diese ikonografischen und kompositorischen Ansprüche zu erfüllen,
stützte sich Bening auf Vorlagen, die bis in die Zeit der Herrschaft
Herzog Karls des Kühnen von Burgund zurückreichten und schon von
Malern wie dem Wiener Meister der Maria von Burgund verwendet wurden.
Aber Bening kopierte diese Vorlagen nicht einfach – er entwickelte sie
völlig neu und gelangte damit zu einer Meisterschaft, die sich die
ursprünglichen Erschaffer niemals hätten träumen lassen. Für die
nächtliche Szene der Gefangennahme Christi auf fol. 15v etwa verwendete
Bening als Vorlage eine Darstellung des Maximilian-Meisters im
Flora-Stundenbuch, verdunkelt die Szene aber dramatisch: nur eine
einzelne Fackel beleuchtet das Geschehen.
Das satte Blau, das die Szene dominiert, wird von der grünen
Schmuckbordüre ideal ergänzt; dieses Grün findet sich auch in der Szene
selbst in verschiedenen Gewandteilen wieder. Benings Versuch, seine
Landschaftspanoramen noch eindrucksvoller zu gestalten, manifestiert
sich auch in den zwölf ganzseitigen Kalenderminiaturen, die wohl zu den
berühmtesten und qualitätvollsten Darstellungen der gesamten Buchmalerei
gehören.
Schon große Meister der vergangenen Jahrhunderte wie die Brüder Limburg
und der Meister Jakobs IV. schufen großartige Kalenderbilder; Bening
jedoch perfektionierte diesen Bildtypus revolutionär: durch ihre
landschaftliche Tiefe und die atmosphärische Gestaltung sind diese
Bilder singulär in der Geschichte der Buchmalerei. Ein hervorragendes
Beispiel ist etwa fol. 10v, das Monatsbild September. Schon die
Komposition von Vordergrund und Bildmitte ist beeindruckend, doch das
niedrige Tal, eingehüllt in einen blauen Dunst, scheint sich in die
Unendlichkeit zu erstrecken. Tatsächlich biegt sich der Horizont
erdgleich. Diese sich ausbreitende Weite ist ohne jedes Vorbild.
Zur Geschichte der Handschrift
Das Da Costa-Stundenbuch ist eine der ersten von Simon Bening
geschaffenen Handschriften. Sein erstes datiertes Werk, das
Imhof-Stundenbuch, stammt aus dem Jahr 1511, unser Stundenbuch entstand
um 1515 – und es ist eines der ersten Meisterwerke, die für einen
spanischen Auftraggeber entstanden sind. Denn das übermalte Wappen auf
fol. 1v konnte einem Mitglied der portugiesischen Familie Sá
zugeschrieben werden. Allerdings weist das darübergemalte Wappen auf
jenen Mann hin, nach dem das Stundenbuch benannt werden sollte: Don
Alvaro da Costa, Waffenmeister und Kämmerer des portugiesischen Königs
Manuels I. (reg. 1495–1521), den Gründer des portugiesischen
Kolonialreichs.
Eine Familiengeschichte der Da Costa berichtet, dass die Handschrift
1514 von Papst Leo X. an König Manuel I. geschenkt wurde, der sie später
Don Alvaro gab. Der Codex blieb dann für vier Jahrhunderte im
Familienbesitz der Da Costa. 1882 stellte João Afonso Da Costa de Sousa
Macedo e Albuquerque (1815–1890) die Handschrift in Lissabon aus. Nach
seinem Tod erbte dessen jüngerer Bruder, Luiz Antonio da Sousa Macedo e
Albuquerque, das Stundenbuch.
Dann verliert sich die Spur unserer Handschrift kurz, denn sie taucht
erst wieder 1905 im Besitz des Londoner Antiquars Bernard Quaritch auf,
der sie in diesem Jahr dem aus Philadelphia stammenden Sammler George C.
Thomas verkaufte. Dessen Erben wiederum verkauften den Codex 1910 an
John Pierpont Morgan.