Das
reich illustrierte Passauer Evangelistar entstand um 1170 bis 1180 im
Augustiner Chorherrenstift St. Nikola in der Dreiflüssestadt Passau. Es
enthält Textabschnitte aus neutestamentlichen Evangelien für Lesungen an
Sonn- und Festtagen des Kirchenjahres. 49 phantasievolle Zierinitialen
und acht farbintensive ganzseitige Miniaturen machen die romanische
Handschrift zu einem besonderen Zeugnis der Kunstfertigkeit der Passauer
Skriptorien. Während vor allem die historisierten Initialen mit kleinen
Figuren, Tierchen oder kunstvollen Ranken das Auge des Betrachters
erfreuen, sind es die byzantinischen Stilelemente, welche die funkelnden
Miniaturen der zwei beteiligten Buchmaler interessant machen.
Das Passauer Evangelistar
Eine
ganz besonders schöne Bilderhandschrift der Romanik stammt aus der
berühmten Dreiflüssestadt Passau. Um 1170 bis 1180 entstand sie dort im
Augustiner Chorherrenstift St. Nikola. In dem Passauer Evangelistar sind
Lesungen zu Sonn- und Festtagen des Kirchenjahres
zusammengestellt, die aus den neutestamentlichen Evangelien stammen. Auf
insgesamt 44 Blatt in einem Format von circa 32,5 x 22,5 Zentimetern
befinden sich 49 große Zierinitialen sowie acht ganzseitige Miniaturen.
Somit laden auf fast jeder Seite farbintensive Bilder und Initialen den
Betrachter zur Versenkung in die biblischen Erzählungen ein. Heute ist
die mittelalterliche Handschrift ein authentisches Zeugnis der
Kunstfertigkeit und Glaubenstiefe einer vergangenen Epoche.
Strahlende Initialen
Die zahlreichen golden strahlenden Zierinitialen auf farbigem Grund sind so reich und phantasievoll mit kleinen Tierchen, Blüten, Figuren oder kunstvollen Ranken verziert, dass sie selbst wie eigenständige Miniaturen wirken. Besonders spannend sind die historisierten Initialen,
bei denen die Figuren entweder ganz konkret den Text der Evangelien
illustrieren, oder aber andere kirchliche Festtage zum Thema haben.
Wiederum andere dienen einfach nur der Zierde und erfreuen das Auge des
Betrachters.
Byzantinische Stilelemente in romanischer Buchmalerei
Insgesamt waren zwei Buchmaler
an der Fertigung des Evangelistars beschäftigt, die nach ihren
Hauptminiaturen benannt wurden. Der Petrus-Meister und der
Ecclesia-Meister schufen die Miniaturen und Initialen lagenweise. Bei
beiden zeigt sich die für die romanische Buchmalerei charakteristische plastische Durchbildung von Körper und Gewand.
So ist der Stoff nicht nur eine starre Hülle. Er ist so ausgearbeitet,
dass er sich sanft um die Figuren legt und einzelne Körperformen
hervortreten. Gewandfalten betonen zusätzlich das Körpervolumen.
Byzantinische Stilelemente gelangten über Salzburg in den süddeutschen
Raum und fanden auch in dem Passauer Evangelistar ihren Niederschlag.
Typisch sind die großflächig angelegten Goldgründe und
die Gestaltung der Gesichter sowie des Inkarnats. Die Nasen sind meist
lang und haben eine überhängende Spitze. Der starre Blick und der
insgesamt strenge Ausdruck sind ebenfalls dem byzantinischen
Gesichtstypus verpflichtet. Besondere Ähnlichkeit mit der Darstellung
byzantinischer Heiliger weist die kräftige Modellierung der Gesichter
mit olivgrünen Schatten, Weißhöhungen und roten Wangenflecken auf.
Passauer Buchmalerei als Rarität
Passauer
Skriptorien brachten im 12. Jahrhundert zahlreiche kostbare
Handschriften hervor, die von weltlichen wie geistlichen Fürsten
gleichermaßen hoch geschätzt wurden. Im Laufe der Jahrhunderte haben
jedoch Brände und Erdbeben die einst reiche Überlieferung fast zur Gänze ausgelöscht.
Das Passauer Evangelistar ist beinahe das einzige erhaltene Zeugnis für
die künstlerisch hochstehende und eigenständige Passauer Buchmalerei
aus der romanischen Zeit und damit in ihrem Wert kaum zu überschätzen.