Das flämische Stundenbuch der Maria von Medici
Stundenbücher waren die wohl beliebteste Art von Büchern im ausgehenden Mittelalter.
Die privaten Andachtsbücher wurden nach Gebeten benannt, die zu
bestimmten Tageszeiten gebetet werden sollten. Jedes Stundenbuch war
eine Sammlung verschiedener Gebete und Evangelienlesungen, zu denen
unter anderem das Marienoffizium, die Passion Christi und das
Totenoffizium gehörten. Zwischen 1515 und 1520 entstand in den Niederlanden ein künstlerisch besonders wertvolles Exemplar, nämlich das Stundenbuch der Maria von Medici. Der Codex enthält drei großflächige, gemäldeartige Bilder, 42 ganzseitige Miniaturen, goldverzierte Bildinitialen und ausgestaltete Bordüren auf jeder Seite.
Der talentierte Davidmeister
Der Buchmaler, der für das kunstvolle Stundenbuch verantwortlich ist, ist heute nur noch unter seinem Notnamen „Meister der Davidszenen im Breviarium Grimani“ bekannt. Er war einer der größten Meister der flämischen Buchkunst, man nennt ihn in einem Atemzug mit den berühmten Buchmalern Gerard Horenbout und Simon Bening. Das Stundenbuch der Maria von Medici gehört zu seinen prachtvollsten und schönsten Arbeiten. Der Bekanntheitsgrad des Malers und der reiche farbige und goldene Buchschmuck lassen auf einen wohlhabenden Auftraggeber schließen. Ein solcher ist allerdings nicht namentlich bekannt.
Eine erlebnisreiche Geschichte
Das flämische Stundenbuch ist heute unter dem Namen seiner späteren Besitzerin bekannt, nämlich Königin Maria von Medici. Die Witwe des französischen Königs Henri IV., die erfolglos gegen Kardinal Richelieu intrigierte, war 1631 gezwungen sich ins Exil nach Brüssel zu begeben. Hier erwarb sie wohl auch den aufsehenerregenden Codex. Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte sie in Köln,
im Hause des Malers Peter Paul Rubens. Auf der Innenseite des
Vorderdeckels ist vermerkt, dass Maria das Werk in Köln ließ, wo es wohl
der englische Buchsammler Francis Douce erwarb. Mit seinem Nachlass ging die Handschrift 1834 an die berühmte Bodleian Library in Oxford über.
Phantastische Buchmalerei aus Brügge
Es handelt sich bei den Miniaturen des flämischen Stundenbuches um wahrhaft atemberaubende Beispiele der niederländischen Buchmalerei. Alle Kompositionen sind in einer leuchtenden Farbauswahl mit feinstem Pinselgold gestaltet. Der Maler inszenierte lebendige Geschichten und gestaltete Menschen und Bauwerke detailgetreu und realistisch. Besonders liebevoll stellte er die architektonischen Errungenschaften der Spätgotik
dar. Er entwirft Ansichten von Plätzen und Straßenzügen, Kirchenbauten,
Ateliers und privaten Räumen, die den Betrachter zurück in seine Zeit
versetzen. Die flämischen Meister aus Brügge und Gent gelten nicht zu
Unrecht als echte Wunderkinder der Buchmalerei und ihre Handschriften waren auch nach der Erfindung des Buchdrucks noch weltweit begehrt.
Einzigartige Neuerungen
Ein besonderes Merkmal des Stundenbuches der Maria von Medici sind die perspektivischen Bildräume der Miniaturen und die reich verzierten Bordüren. Der begabte Davidmeister beherrschte die räumlich-perspektivische Darstellungsweise so perfekt, dass es ihm gelingt das Auge des Betrachters direkt ins Innere von Räumen oder Landschaften
zu führen. So werden die Miniaturen zu Kunstwerken, die den Gemälden
großer holländischer Künstler in nichts nachstehen. Mit den
Bordürenfeldern, die die Miniaturen einrahmen, gelang dem Meister ein
besonderer Clou. Er erzählt in den mit Pflanzen und Insekten
verzierten Bordüren weitere Geschichten, die sich auf das Thema der
Hauptminiatur beziehen. Aus beiden Bildern erschafft er durch raffinierte Konstruktion einen einheitlichen Bildraum.