Die
monumentale Geschichte vom Trojanischen Krieg inspiriert Künstler,
Schriftstelle und Regisseure seit Jahrhunderten. Eine der schönsten
Bearbeitungen des epischen Stoffes wurde im 14. Jahrhundert in der
italienischen Stadt Bologna angefertigt. Der italienische Trojaroman
basiert auf der literarischen Vorlage des französischen Autors Benoit de
Sainte-Maure und ist mit atemberaubenden Miniaturen ausgestattet. Die
ausdrucksstarken, bewegenden Bilder illustrieren die Ereignisse der
antiken Legende und bieten eine reizvolle Quelle über das Leben in
Italien in der Zeit ihrer Entstehung.
Die Geschichte des Trojanischen Krieges
Die mythologische Erzählung vom Trojanischen Krieg ist ohne Zweifel eine der einflussreichsten und meist rezipierten Legenden aller Zeiten.
Sie wurde immer wieder in verschiedensten Medien rezipiert, das
aktuellste Beispiel hierfür ist Oliver Stones Hollywood-Blockbuster
„Troja“ mit Brad Pitt und Orlando Bloom in den Hauptrollen. Auch in der
Literatur wurde die zeitlose Sage unzählige Male bearbeitet. Der
französische Schrifsteller Benoit de Saite-Maure
widmete sich zwischen 1160 und 1170 dem antiken Stoff. Er fertigte eine
der bedeutendsten literarischen Ausgaben des Epos an, der über das gesamte Mittelalter hinweg zitiert und neu bearbeitet
wurde. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurde das Meisterwerk
des Franzosen von einem anonymen italienischen Buchkünstler rezipiert,
der auf der berühmten Vorlage eines der erstaunlichsten illuminierten Manuskripte in der Geschichte der mittelalterlichen Buchkunst schuf. Das Manuskript ist ein unfassbar reich ausgestattetes Bilderbuch mit kunstvollen und historisch informativen Miniaturen auf so gut wie jeder Seite.
Der Trojaroman des Benoit de Saite-Maure
Benoit
de Sainte-Maure war ein französischsprachiger Autor, der um die Mitte
des 12. Jahrhunderts in der Grafschaft Touraine lebte und arbeitete.
Sein bekanntestes Werk war der Trojaroman, welchen er zwischen
1160 und 1170 für den englischen Hof von Heinrich II. Plantagenet und
seiner Gattin Eleonore von Aquitanien verfasste. Ihr Hof war
eines der bedeutendsten intellektuellen und künstlerischen Zentren der
mittelalterlichen Welt und, wie für den intellektuellen Adel jener Zeit
üblich, wurde hier ausschließlich französisch gesprochen. Als stoffliche
Vorlage diente de Saite-Maure nicht das damals in Westeuropa nur vom
Hörensagen bekannte Epos Homers - die Ilias - sondern zwei angeblich von Augenzeugen verfasste Darstellungen des trojanischen Krieges.
Dabei handelte es sich einmal um die Schilderungen des Dictys
Cretensis, der die Dinge auf griechischer Seite erlebt haben will, sowie
zum andern die Erzählung des Dares Phrygius, der in Troja dabeigewesen
zu sein vorgibt. Von Dictys und Dares übernahm Benoît jedoch nur den
groben Rahmen, den er fantasievoll und geschickt mit Liebesgeschichten, ritterlichen Kampfszenen und gelehrten Exkursen ausstattete.
Die italienische Rezeption des Meisterwerkes
Benoit de Sainte-Maures Trojaroman wurde, wie schon erwähnt, im 14. Jahrhundert in Italien kopiert und mit einem reichen Miniaturenzyklus ausgestattet.
Frankreich hatte mit seiner Troubadourlyrik und seiner epischen wie
höfischen Dichtung von Anbeginn an eine führende Position in der
Entwicklung der volkssprachlichen Literaturen Europas. Die französische Literatur war Vorbild und Wegbereiter,
ihre Werke wurden übersetzt, nachgeahmt, um- und neugestaltet.
Besonders in städtischen Zentren wie Bologna und Venedig spielte die
französische Literatur eine große Rolle. Auch der italienische
Trojaroman wurde mit großer Wahrscheinlichkeit in Bologna hergestellt.
Das mehr als 30000 Verse umfassende Literaturdenkmal
aus Frankreich wurde in Italien nicht nur in Originalsprache neu
wiedergegeben, die eigentliche Leistung des anonymen Rezipienten lag in
der Illustration der antiken Sage. Der Bilderzyklus des italienischen
Trojaromans gehört zum Hervorragendsten, was je in der Geschichte der Buchillumination geschaffen wurde.
Ein bedeutender Miniaturenzyklus
Die
beeindruckenden Miniaturen des italienischen Trojaromans setzen die
einzelnen Handlungsmomente der Erzählung so klar in Szene, dass das Geschehen völlig ohne Text und nur anhand der Illustrationen nachvollziehbar
ist. Jedoch werden nicht ausschließlich die im Text geschilderten
Ereignisse bildhaft präsentiert. Die spontane Erzählfreude des Autors
zeigt sich ebenso in kleinen ausschmückenden Details und Anekdoten,
die in der Geschichte nicht vorkommen. Ein besonders reizvolles
Beispiel für unglaublich lebendige und anschauliche Illumination ist
eine gänzlich ungewöhnliche Darstellung des schiffbrüchigen Ajax und
seiner Gefährten. Einige der in Seenot geratenen Männer kauern im Bild
fröstelnd auf der felsigen Insel, auf die sie sich gerettet haben,
andere schwimmen angestrengt auf das rettende Ufer zu, wieder andere
liegen ertrunken im Wasser. Nie zuvor gelang es einem Buchkünstler, Bilder von solcher Dramatik und Expressivität
zu gestalten. Die Miniaturen des wertvollen Manuskripts brauchen keinen
Vergleich mit den großen Gemälden italienischer Maler zu scheuen.
Einige der Miniaturen zeigen in künstlerisch ansprechender Weise
alltägliche Gegenstände, wie sie im Italien des 14. Jahrhunderts
verbreitet waren. Es sind typisch italienische architektonische Besonderheiten
abgebildet, Möbelstücke, wie sie in italienischen Häusern und Wohnung
zu finden waren oder typische Gewänder und Kostüme. Die Bilder des
Romans bestechen also nicht nur durch ihre anmutige Schönheit. Ebenso
stellen sie eine äußerst interessante, historisch bedeutende Quelle über das Leben im mittelalterlichen Italien dar.