Man
überschätzt Vergils (70–19 v.Chr.) Bedeutung nicht, wenn man ihn als
römischen Goethe bezeichnet: Sein Werk über den Landbau, die Georgica,
war schon zu seinen Lebzeiten als Schulbuch in Verwendung, die Aeneis
prägte als Nationalepos der Römer über Jahrhunderte die antike und
spätantike Welt. Um 400 n. Chr. entstand der vorliegende Vergilius
Vaticanus, der in seinem heutigen Zustand Fragmente aus diesen Werken
Vergils beinhaltet. Damit handelt es sich nicht nur um eine der ältesten
Überlieferungen, mit denen wir heute noch an ihn heranreichen können,
sondern um das älteste von insgesamt nur drei erhaltenen antiken
Manuskripten mit illustrierter klassischer Literatur. Am meisten nimmt
der Codex aber durch seine prachtvolle Ausstattung von höchstem
künstlerlischem Anspruch ein. Die 50 Miniaturen begleiten den für
römische Leser vertrauten Text und sind so prägnant und ausdrucksstark,
dass manche sogar Eingang in heutige Lateinbücher gefunden haben.
Antike Weltliteratur in spätantiken Bildern
Der Vergilius Vaticanus ist das wichtigste erhaltene Beispiel eines illustrierten Buches der Antike und stellt zugleich eine der ältesten Überlieferungen von Vergils berühmtem Nationalepos Aeneis dar. Entstanden
in Rom um 400 n. Chr., ist er zudem das älteste von insgesamt nur drei
antiken Manuskripten mit illustrierter klassischer Literatur. Besondere Wertschätzung genießt der Vergilius Vaticanus auf Grund seines reichen Buchschmucks. 50 Miniaturen
begleiten den Text in anschaulicher Weise und machen die Handschrift so
zu einem Prachtcodex von höchstem künstlerischen Anspruch. Die mit
üppigen Farben aufgetragenen Illustrationen lassen in ihrem Stil die Parallelen zu den pompejanischen, nach griechischen Vorbildern geschaffenen Wandmalereien deutlich erkennen. Auf den 76 erhaltenen Blättern enthält der Vergilius Vaticanus sowohl Fragmente der Georgica, eines Lehrgedichts vom Landbau, als auch solche der Aeneis
und gilt als eine der direktesten und authenischsten Quellen der
Vergil-Überlieferung. So ist uns mit diesem Codex eine wertvolle
Luxusausgabe jenes Autors erhalten, der wie kaum ein anderer Dichter der
Antike nachhaltig auf unsere Kultur gewirkt hat und durch die
Jahrhunderte hindurch immer wieder rezipiert wurde.
Ein einmaliges Zeugnis der spätrömischen Buchkunst
Das Skriptorium, in dem der Vergilius Vaticanus
angefertigt wurde, beschäftigte hervorragende Fachleute. Der
Hauptschreiber kopierte den gesamten Text und plante die Illustrationen,
indem er an bestimmten Stellen des Textes Freiräume für sie aussparte.
Seine Hand zeichnet sich durch eine elegante Version der Capitalis rustica aus, einer Schrift, die für Prachtcodices jener Zeit verwendet wurde.
Die Miniaturen wurden von drei verschiedenen Malern eingefügt, wobei
diese jeweils nach ikonographischen Vorlagen arbeiteten. Sie kopierten
jedoch nicht nur diese Vorlagen, sondern ergänzten sie durch
goldverzierte Rahmen, kunstvolle Landschaftsmalereien, Architekturen und
andere Details. Die naturgetreuen Proportionen und die Lebendigkeit der Figuren
beeindrucken den Betrachter ebenso wie die meisterhaft dargestellte
Beziehung zwischen den einzelnen Figuren. Darin wird der klassische Stil
augenscheinlich, wie er von den Wandmalereien Pompejis bekannt ist.
Eine der ältesten Vergilüberlieferungen
Der Vergilius Vaticanus
beinhaltet in seinem gegenwärtigen Zustand Fragmente von zwei überaus
beliebten Werken der römischen Antike. Von diesen Fragmenten ausgehend
läßt sich der Originalumfang des Buches leicht rekonstruieren. Es hat –
wie es zu der Zeit üblich war – alle kanonischen Werke Vergils
enthalten, sodaß der Gesamtumfang etwa 440 Blätter umfaßt haben muß, auf
denen ungefähr 280 Illustrationen den Text begleiteten. Das Buch
stellte eine wertvolle Vergilausgabe dar, das, obwohl es vollständig
illustriert war, dennoch ein handliches Format hatte.
Vergil war einer der meistgelesenen Autoren der Antike. Seine Georgica waren bereits vor seinem Tod im Jahre 19 v. Chr. als Schulbuch in Gebrauch, und seine Aeneis,
die auf Geheiß des Kaisers Augustus entgegen seinen testamentarischen
Anweisungen herausgegeben wurde, war sofort ein Bestseller. Obwohl Vergil auch von Christen bewundert und sehr gerne gelesen wurde, ist der Auftraggeber des Vergilius Vaticanus sicherlich im Kreis heidnischer Aristokraten zu vermuten, die die alten Traditionen erhalten wollten. Er wurde für einen anspruchsvollen Sammler angefertigt, der die kunstvollen Bilder genießen konnte, während er die vertraute Lektüre las.